Rede zu Israel und Antisemitismus 04/11/202304/11/2023 01.11.2023 Vizekanzler und Bundesminister Robert HabeckRede zu Israel und Antisemitismus „Robert Habeck zu Israel und Antisemitismus“ von YouTube anzeigen Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen. Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube. Inhalt von YouTube immer anzeigen Der Terrorangriff der Hamas auf Israel ist jetzt bald vier Wochen her. Viel ist seitdempassiert. Politisch, aber vor allem für die Menschen. So viele Menschen, deren Leben vonAngst und Leid zerfressen wird.Die öffentliche Debatte ist seit dem Angriff aufgeheizt, mitunter verworren.Ich möchte hier mit diesem Video einen Beitrag dazu leisten, sie zu entwirren. Zu viel scheint mir zu schnell vermischt zu werden.Der Satz, „Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson“ war nie eine Leerformel und er darfauch keine werden. Er sagt, dass die Sicherheit Israels für uns als Staat notwendig ist.Dieses besondere Verhältnis zu Israel rührt aus unserer historischen Verantwortung: Es war die Generation meiner Großeltern, die jüdisches Leben in Deutschland und Europavernichten wollte.Die Gründung Israels war danach, nach dem Holocaust das Schutzversprechen an dieJüdinnen und Juden – und Deutschland ist verpflichtet, zu helfen, dass dieses Versprechenerfüllt werden kann. Das ist ein historisches Fundament dieser Republik.Die Verantwortung unserer Geschichte bedeutet genauso, dass Jüdinnen und Juden inDeutschland frei und sicher leben können. Dass sie nie wieder Angst haben müssen, ihreReligion und ihre Kultur offen zu zeigen. Genau diese Angst aber ist zurück.Ich habe kürzlich Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Frankfurt getroffen. In einemintensiven, einem schmerzhaften Gespräch erzählten mir die Gemeindevertreter, dass ihreKinder Angst haben, zur Schule zu gehen, dass sie nicht mehr in Sportvereine gehen, dass sie auf Anraten ihrer Eltern die Kette mit dem Davidstern zuhause lassen.Heute hier, in Deutschland. Fast 80 Jahre nach dem Holocaust.Sie erzählten, dass sie sich selbst nicht mehr trauen, in ein Taxi zu steigen, dass sie Briefenicht mehr mit Absendern versehen, um ihre Empfänger zu schützen.Heute hier, in Deutschland. Fast 80 Jahre nach dem Holocaust.Ein jüdischer Freund berichtete mir von seiner Angst, seiner schieren Verzweiflung, seinemGefühl von Einsamkeit. Die jüdischen Gemeinden warnen ihre Mitglieder, bestimmte Plätze zu meiden – zu ihrer eigenen Sicherheit.Heute hier, in Deutschland. Fast 80 Jahre nach dem Holocaust.Der Antisemitismus zeigt sich auf Demonstrationen, er zeigt sich in Äußerungen, er zeigt sich in Angriffen auf jüdische Läden, in Drohungen.Während es schnell große Solidaritätswellen gibt, etwa wenn es zu rassistischen Angriffen kommt, ist die Solidarität bei Israel rasch brüchig. Dann heißt es, der Kontext sei schwierig.Kontextualisierung aber darf nicht zu Rechtfertigung führen.Wir haben sicherlich oft zu viel Empörung in unserer Debattenkultur. Hier aber können wirgar nicht empört genug sein. Es braucht jetzt Klarheit, kein Verwischen.Zur Klarheit gehört: Antisemitismus ist in keiner Gestalt zu tolerieren – in keiner.Das Ausmaß bei den islamistischen Demonstrationen in Berlin und in weiteren StädtenDeutschlands ist inakzeptabel und braucht eine harte politische Antwort. Es braucht dieseauch von den muslimischen Verbänden. Einige haben sich klar von den Taten der Hamas undvom Antisemitismus distanziert, haben das Gespräch gesucht. Aber nicht alle, manche zuzögerlich und ich finde, insgesamt zu wenige.Die hier lebenden Muslime haben Anspruch auf Schutz vor rechtsextremer Gewalt – zurecht.Wenn sie angegriffen werden, muss dieser Anspruch eingelöst werden und das gleichemüssen sie jetzt einlösen, wenn Jüdinnen und Juden angegriffen werden. Und sie müssensich klipp und klar von Antisemitismus distanzieren, um nicht ihren eigenen Anspruch aufToleranz zu unterlaufen. Für religiöse Intoleranz ist in Deutschland kein Platz.Wer hier lebt, lebt hier nach den Regeln dieses Landes. Und wer hierherkommt, musswissen, dass das so ist und auch so durchgesetzt werden wird.Unsere Verfassung schützt und gibt Rechte, sie legt Pflichten auf, die von jedem und jedererfüllt werden müssen. Beides kann man nicht voneinander trennen. Toleranz kann andieser Stelle keine Intoleranz vertragen. Das ist der Kern unseres Zusammenlebens in derRepublik.Das heißt: Das Verbrennen von israelischen Fahnen ist eine Straftat, das Preisen des Terrorsder Hamas auch. Wer Deutscher ist, wird sich dafür vor Gericht verantworten müssen, werkein Deutscher ist, riskiert außerdem seinen Aufenthaltsstatus. Wer noch keinenAufenthaltstitel hat, liefert damit einen Grund, abgeschoben zu werden.Der islamistische Antisemitismus darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir auch inDeutschland einen verfestigten Antisemitismus haben: Nur, dass die Rechtsextremen sichzum Teil gerade aus rein taktischen Gründen zurückhalten, um gegen Muslime hetzen zukönnen. Die Relativierung des Zweiten Weltkriegs, des Nazi-Regimes als „Fliegenschiss“ istnicht nur eine Relativierung des Holocausts, sie ist ein Schlag ins Gesicht gegenüber denOpfern und Überlebenden. Alle, die hinhören, können und müssen das wissen. Der zweiteWeltkrieg war ein Vernichtungskrieg gegen Juden, für das Nazi-Regime war die Vernichtungdes europäischen Judentums immer Hauptziel.Und weil unter den Rechtsextremen so manche Putin-Freunde sind: Putin lässt sich mitVertretern der Hamas und der iranischen Regierung fotografieren und bedauert die zivilenOpfer im Gaza-Streifen, während er zivile Opfer in der Ukraine schafft. Und seine Freunde inDeutschland sind gewiss keine Freunde der Jüdinnen und Juden.Sorge macht mir aber auch der Antisemitismus in Teilen der politischen Linken und zwarleider auch bei jungen Aktivistinnen und Aktivisten. Anti-Kolonialismus darf nicht zuAntisemitismus führen. Insofern sollte dieser Teil der politischen Linken seine Argumenteüberprüfen und der großen Widerstandserzählung misstrauen. Das „beide Seiten“-Argumentführt in die Irre. Die Hamas ist eine mordende Terrorgruppe, die für die Auslöschung desStaates Israels und den Tod aller Juden kämpft.Die Klarheit, mit der das wiederum zum Beispiel die deutsche Sektion von Fridays For Futureauch in Abgrenzung zu ihren internationalen Freunden konstatiert hat, ist mehr alsrespektabel.Als ich in der Türkei war, wurde mir vorgehalten, dass in Deutschland pro-palästinensischeDemonstrationen verboten seien. Und dass Deutschland seine humanitären Ansprüche auchauf die Menschen in Gaza übertragen müsse. Ich machte klar, dass bei uns Kritik an Israelnatürlich erlaubt ist. Dass es eben nicht verboten ist, für die Rechte der Palästinenserinnenund Palästinenser und auch ihr Recht auf einen eigenen Staat einzutreten. Aber der Aufrufzur Gewalt gegen Juden oder das Feiern der Gewalt gegen Juden sind verboten – zurecht!Ja, das Leben in Gaza ist ein Leben in Perspektivlosigkeit und Armut. Die Siedlerbewegung inder Westbank schürt Unfrieden und nimmt den Palästinensern Hoffnung und Rechte undauch Leben. Und das Leid der Zivilbevölkerung jetzt im Krieg ist eine Tatsache. Einefurchtbare. Jedes tote Kind ist eines zu viel.Auch ich fordere humanitäre Lieferungen, setze mich dafür ein, dass Wasser, Medikamenteund Hilfsgüter nach Gaza kommen, dass Flüchtlinge geschützt werden. Zusammen mitunseren amerikanischen Freunden machen wir Israel immer wieder deutlich, dass der Schutzder Zivilbevölkerung zentral ist. Der Tod und das Leid, das jetzt über die Menschen im GazaStreifen kommt, sind schlimm.Das zu sagen ist so notwendig wie legitim. Systematische Gewalt gegen Jüdinnen und Judenkann und darf damit dennoch nicht legitimiert werden. Antisemitismus kann damit nichtgerechtfertigt werden.Natürlich muss sich Israel an das Völkerrecht und internationale Standards halten. Aber derUnterschied ist: Wer würde solche Erwartungen an die Hamas formulieren?Und weil ich kürzlich im Ausland damit konfrontiert wurde, wie der Angriff auf Israel am 7.Oktober als „unglücklicher Vorfall“ verharmlost wurde, ja sogar die Fakten in Frage gestelltwurden, rufe ich hier noch mal in Erinnerung: Es war die Hamas, die Kinder, Eltern,Großeltern in ihren Häusern bestialisch ermordet hat. Deren Kämpfer Leichen verstümmelthaben, Menschen entführt und lachend der öffentlichen Demütigung ausgesetzt haben.Es sind Berichte des schieren Horrors – und dennoch wird die Hamas als Freiheitsbewegunggefeiert? Das ist eine Verkehrung der Tatsachen, die wir nicht stehen lassen können.Und das bringt mich zum letzten Punkt:Der Angriff erfolgte in einer Phase der Annäherung mehrerer muslimischer Staaten an Israel.Es gibt die Abraham-Abkommen zwischen Israel und muslimischen Staaten der Region.Jordanien und Israel arbeiten in einem großen Trinkwasserprojekt zusammen. Saudi-Arabienwar auf dem Weg, seine Beziehungen zu Israel zu normalisieren.Aber ein friedliches Miteinander von Israel und seinen Nachbarn, von Juden und Muslimen,die Perspektive einer Zweistaatenlösung – all das wollen die Hamas und ihre Unterstützer,insbesondere die iranische Regierung nicht. Sie wollen es zerstören.Wer die Hoffnung auf Frieden in der Region nicht aufgegeben hat, wer am Recht derPalästinenser auf einen eigenen Staat und eine wirkliche Perspektive festhält – und das tunwir –, der muss jetzt in diesen Wochen der Bewährung differenzieren.Zur Differenzierung gehört, dass die Mordtaten der Hamas Frieden verhindern wollen. DieHamas will nicht die Aussöhnung mit Israel, sondern die Auslöschung von Israel.Und deshalb gilt, unverrückbar: Das Existenzrecht Israels darf nicht relativiert werden. DiSicherheit Israels ist unsere Verpflichtung. Deutschland weiß das.